Siebte Raunacht (1)

Werte und Ziele

Aufrichtig sein

Dieses Jahr bewege ich mich durch den Wechsel von Fest- und Arbeitstagen, von Alleinsein und Familiengewühl mit einer geschäftigen Sachlichkeit. Ich mache mir zwar Gedanken abends in den rauen Nächten, aber nicht berührt wie in anderen Jahren.

Dieses Jahr muss nicht sein, wie andere Jahre. Ich muss mich nicht fühlen, wie in anderen Jahren.

Und während ich diesen Worten nachhänge, wird mir bewusst, wie müde meine Gefühlswelt geworden ist, vom Auf und Ab der vergangenen Monate.

Ob ich mich in diesen Tagen verschliesse, um zur Ruhe zu kommen? Und wenn? Dann habe ich es wohl nötig und erlaube mir Abstand.

Eigentlich wollte ich ein paar schöne und aufrichtige (wenn auch poetisch verschlüsselte) Worte zum Aufrichtig sein schreiben, dazu Bilder, die zu meinem Thema passen. Nun ist es anders gekommen. Aus Versehen habe ich aufrichtig und unverschlüsselt erzählt.

Fünfte Raunacht

Den Körper würdigen

Mein Körper, das bin ich.

Der Körper ist keine Hülle für den Geist oder die Seele. Wo wollte man sie trennen?

Mein Körper ist genauso ich, wie es meine Gedanken und Gefühle, mein Hoffen und Bangen sind.

Heute stehe ich vor dem Spiegel und staune.

Meine Haut ist gezeichnet von Narben, von Wunden, die immer wieder zusammengewachsen ist. Nach jeder kleinen Verletzung. Nach jeder Operation neu. Nicht immer schön, nicht immer unkompliziert, aber alles, was soll, ist wieder dicht. Danke.

Meine Sehnen und Bändern halten mich trotz andauernden Entzündungen immer noch zusammenhalten. Ich kann noch gehen, wandern, sogar pilgern war ich dieses Jahr. Danke

Danke meinen unsichtbaren Organen, die unter widrigen Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen.

Ich lebe.

Vermissen

Ich vermisse das Vermissen.

Wenn ich von anderen höre oder lese (zum Beispiel bei
demenzfueranfaenger.wordpress.com oder bei @doppelleben@twitter.com), wie sie ihre verstorbenen Angehörigen vermissen, dann vermisse ich mein Vermissen.

Ich vermisse meine Grossmutter (die einzige, die ich kannte) nicht, nicht meinen Vater und werde wohl leider auch meine Mutter nicht vermissen. Das tut mir leid. Ich habe schöne und andere Erinnerungen, an sie, aber es reicht nicht zum Vermissen. Ich würde sie so gerne vermissen!

Wie ist es so gekommen? Meine jüngere Schwester und ich mussten früh emotional unabhängig werden. Die Launen der Mutter waren unberechenbar. Der Vater war in seiner Anwesenheit emotional oft abwesend. Und Omi? Ich hatte sie sehr gern. Sie war eine wohlerzogene, hoch gebildete beherrschte Frau. Sie kam aus einer anderen Welt. Das ist eine Geschichte für sich. Sie war wohl zu beherrscht, als dass sich genügend Wärme zum Vermissen hätte bilden können.

Wie auch immer. Ich lernte früh, mich einzuigeln, mich als Schildkröte in meinen Panzer zurückzuziehen. Die bindenden Fäden habe ich kräftig angeknabbert, damit es weniger weh tut. Und so gibt es heute keine festen Bindungen zu meinen Eltern. Das vermisse ich so sehr.

Ich vermisse das Vermissen.

Wenn ich dem tief nachfühle, so ist es fast das selbe wie:

Ich vermisse meine Eltern.

Aber nicht ganz. Ich vermisse die Beziehung, die wir hätten haben können.

Ich vermisse das Vermissen.

Zweite Raunacht

Still werden

Nicht die Feiern mit teuren Menschen
machen mein Leben laut.
Sorge und Sehnsucht
rufen unerbittlich.

Die Sorge will ich ziehen lassen,
vertrauen, dass sie ihr Ziel findet.

Der Sehnsucht folge ich zur Quelle.
Dorthin, wo DU zu mir sprichst:

Du bist meine liebe Tochter,
du gefällst mir. *

Gefalle ich dir?
Bin ich gut genug?

Du bist meine Tochter,
das ist genug.
Du bist mehr als gut genug,
Liebes.

(* Nach Henry J.M. Nouwen: „Nimm sein Bild in dein Herz“ und nach der Bibel: Matthäusevangelium 3,17)

Erste Raunacht

Rückblick

Im ersten Augenblick wiegt der Schmerz schwer.
Ein schmerzendes Knie am Jahresanfang,
die Krankheiten von anderen.
Ängste um andere.
Auch meine alten Krankheiten.

Ein zweiter Blick weckt farbenfrohe Bilder:

Ich bin reich.

Zwischen Hoffen und Bangen
Zwischen Schmerz und Glück
wähle ich Hoffen und glückliche Erinnerungen.

Daheim:

Südengland im Sommer:

Pilgern im Herbst:

25.12.2019

Adventsverse

Ein loser Adventskalender

1

Erster Advent und morgen gibts Schnee!
Da kannst du nur jubeln und rufen: Juhee!

2

Kein Schnee, aber Tropfen, die silbern strahlen,
wie Sterne, die über den Himmel fahren.

3

‪Beim dritten Türchen vergehn mir die Sprüche,‬
denn neben mir geht eine Seele in Brüche‬

4

Das 4. Türchen schon offen steht,
verrückt, gell, wie die Zeit vergeht.

5

Wo wohnt im Sommer der Nikolaus?
Wo wallt er all seine Guetsli aus?
In Basel kam er vom Schwarzwald her.
Wo wohnt er in Zürich? Wer weiss mehr?

6

‪Ich kann kein Verslein sagen,‬
ich singe, doch kein Lied.‬
Besuchst du mich trotzdem wieder?‬
Samichlaus, sei so lieb.‬

10

Was macht die Waage im Advent,
wenn sie denkt, dass niemand sie kennt?
Säuft heimlich Bier mit feinem Schaum,
später vom Whisky golden braun.
Säuft bis die Kerzen doppelt scheinen,
und wägt als Aktion gleich zwei für einen.

PS: Die Waage wog Pfund statt kg. Sie ist jetzt wieder nüchtern.