Heute beginnt gewissermassen meine Pilgerreise, aber lest selbst:
Vor einem Jahr habe ich angefangen, mein Pilgern als „Pilgern mit Handicap zu bezeichnen. Damals konnte ich noch etwa vier Stunden täglich gehen. Heute sind es nur noch zwei, maximal drei Stunden. Ausserdem darf ich nicht mehr als fünf Kilogramm tragen. Da ich medizinische Versorgung mittragen muss, ist ein Rucksack von 5kg völlig unrealistisch.
Meine Pilgerreise beginnt heute, weil ich einen sogenannten Rucksackwagen bestellt habe. Das ist ein kleiner Anhänger, den man mit dem Rucksack belädt und sich um die Hüfte schnallt. Wandamigo heisst er.
Ich freue mich! Damit muss ich das Pilgern nicht aufgeben, sondern ich kann es meinen Bedingungen anpassen.
Pilgern mit Handicap? Ja, wenn man seine Ansprüche mit dem Handicap in Übereinstimmung bringt.
Allerdings …
Allerdings kann ich mir einfach nicht vorstellen, mit meinem Mann und dem Pudel zwei Stunden zu wandern und dann – nichts weiter. Darum haben wir entschieden, dass wir einzeln pilgern. Mein Mann geht mit dem Pudel sein eigenes Tempo. Ich gehe mit der Karre meines. Wir sind zwar zusammen unterwegs, aber nicht am selben Ort.
Auf das alleine unterwegs sein freue ich mich auch. Die vielen Eindrücke der vergangenen Wochen, die Müdigkeit, die Reizüberflutung – alles zurücklassen und allein sein: Ich freue mich.
Der Körper ist keine Hülle für den Geist oder die Seele. Wo wollte man sie trennen?
Mein Körper ist genauso ich, wie es meine Gedanken und Gefühle, mein Hoffen und Bangen sind.
Heute stehe ich vor dem Spiegel und staune.
Meine Haut ist gezeichnet von Narben, von Wunden, die immer wieder zusammengewachsen ist. Nach jeder kleinen Verletzung. Nach jeder Operation neu. Nicht immer schön, nicht immer unkompliziert, aber alles, was soll, ist wieder dicht. Danke.
Meine Sehnen und Bändern halten mich trotz andauernden Entzündungen immer noch zusammenhalten. Ich kann noch gehen, wandern, sogar pilgern war ich dieses Jahr. Danke
Danke meinen unsichtbaren Organen, die unter widrigen Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen.
Das Leck in deinem Körper muss nicht gross sein. Es reicht ein kleines, aus dem es tröpfelt. Tag für Tag, Stunde für Stunde.
Es tröpfelt deine Lebenskraft aus dir. Das Leck frisst sie. Und der stete Tropfen höhlt das Leck, es wir grösser, die Kraft rinnt stärker und wird eines Tages fliessen.
Du fragst dich, wie das bloss weiter gehen soll. Morgen, nächste Woche, nächstes Jahr.
Dann tust du, was du schon immer getan hast. Du verdrängst die Schmerzen und Sorgen in die hinterste Ecke der Seele, Tür zu, Schloss dran, Schlüssel drehen, fertig.
Dann stehst du auf, nimmst ein schönes Buch und geniesst, was dir geblieben ist.
Wenn jemand sagt: „Ich glaube an dich.“ Oder: „Glaube an dich!“
Was ist damit gemeint?
Klingt irgendwie nach Leistung, nach „du schaffst das“. (Eine Prüfung, eine Aufgabe, einen Wettkampf oder so.)
Ziemlich oberflächlich.
Ich glaube, dass ich den Alltag bewältigen kann, dass ich die Tage beginnen und beenden kann in aller Schwachheit.
Ich glaube, dass ich den Weg zu mir selber und zu Gott immer wieder finden werde und daran, dass ich diesen inneren Weg auch gehen kann. Schritt um Schritt.
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Bild: Eine bearbeitete Seite aus: Elena Brower, entdecke dich, Das Achtsamkeits-Journal
Bei mir, in meinem Körper, zuhause sein.
Das wär schön.
Genau genommen lebe ich hauptsächlich in meinem Kopf. Im Herzen bin ich immer häufiger und das tut gut.
Aber im gesamten Körper?
Ich habe ein gutes Körpergefühl, wenn es um Bewegungen geht, um Gleichgewicht und dessen Grenzen.
Aber mein Körper als Zuhause ist mir fremd.
Mein Körper ist seit über 40 Jahren krank. Funktioniert falsch. Ich wurde mehrfach operiert, mit Chemie stabilisiere ich die Funktionstüchtigkeit.
Wie kann man zuhause sein in einem kaputten Haus?
Wenn ich mir ein Traumhaus vorstelle, ist es oft eine Hütte, bunt, schief, an- und umgebaut. Das passt doch zu meinem Körper, nicht?
Sei etwas freundlicher zu dir, Alice!
Ich entscheide mich: Mein Körper ist nicht kaputt, bloss etwas windschief. Aus- und angebaut. Da könnte ich doch einziehen, da könnte ich mich niederlassen in meinem windschiefen Traumhaus, nicht?
So beginnt Versöhnung.
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