Gedanken plätschern – Davor

Gedanken plätschern:
Eine OP teilt die nahe Zukunft in ein „Davor“ und ein „Danach“.
Was muss noch erledigt werden? Was will ich erledigt haben?
Später wird die Vergangenheit in Davor und Danach geteilt. Welches von beiden wird angenehmer sein?

Senkrechte und Diagonale kreuzen sich oben rechts, Waagrechte nicht durchgängig unter der Schnittstelle, Ecke oben links gelb, ein Dreieck darunter braun, Rechteck unten rechts schwarz.
ATC / Line trifft Farbe

ATC bedeutet Artist Trading Cards, Sammel- und Tauschkarten; mehr hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Artist_Trading_Cards

Weiter ge-gedänkelt es: Die Abläufe vor Ops sind mir vertraut. Kein Grund zur Aufregung.
Was mir öfter durch die Gedanken schweift, sind die Fragen um die Wirkungen: Werden die Schmerzen sich lösen? Ein wenig? Oder ganz? Wird es andere Schmerzen geben von der OP? Angst vor der Enttäuschung.

Diagonale vor unterbrochener Senkrechten, aus der Schnittstelle orange Flammen.
ATC / Line trifft Farbe – Schmerz

Je später der Abend wird, umso konkreter erinnere ich mich an vergangene OPs. Bisher waren die Gedanken eher theoretisch. Nun wird es konkret: Fast nackt im Spitalnachthemd gestochen und angebunden werden – ich werde wieder Leib und Seele fremden Menschen überlassen. Die ganze Kontrolle gebe ich ab, selbst über meinen Atem, mein Bewusstsein, schlimmstenfalls sogar über mein Leben oder Sterben. Wie leicht man diese Hilflosigkeit vergisst!

Kreisrundes Labyrinth schwarz auf weiss. Acht Abschnitte zwischen denen sich die Wege schlängeln.
ATC / Labyrinth

Vor der Narkose werde ich gebeten, an etwas Schönes zu denken. Was möchte ich mit in die Nacht nehmen?
Blödsinn, nichts nehme ich mit, da ist nur schwarz. Fast jedesmal versuche ich zu zählen – Bei welcher Zahl genau schlafe ich ein? Ich wusste es noch nie. Nur schwarze Zahllosigkeit.

Hintergrund helleres blauschwarz, Türrahmen lila gedruckt, in der Tür tief blauschwarz.
ATC / Aus den Raunächten: 1. Raunacht

Und nun gute Nacht.
Denkt etwas Schönes vor dem Einschlafen!

Sommersprossen (Sheyla)

Sommersprossen auf rundlichem Arm
Riechen nach Wiese und Kindertagen.
Wecken die Sehnsucht nach Sonnenschein warm,
Als wir noch glücklich in Blumen lagen.
Riechen nach Wiese und Kindertagen,
Rötlich die Haut und Häärchen so hell.
Als wir noch glücklich in Blumen lagen,
flogen die Stunden und Tage zu schnell.
Rötlich die Haut und die Häärchen so hell,
Mit Sommersprossen, so liebte ich dich.
Flogen die Stunden und Tage zu schnell,
denn dein rundlicher Arm umarmte mich.
Mit Sommersprossen, so liebte ich dich
Nun bist du fort, wer hält mich nun warm?
Denn dein rundlicher Arm umarmte mich.
Sommersprossen auf rundlichem Arm.
Glaskugel stellt den hellblauen Himmel, den Wald und das violette Blumenfeld auf den Kopf.

Ein Beitrag zum Lyrikmonat #lyrimo

Mutters Wolle / Textiles 1

Ich sitze auf dem Boden zwischen unzähligen Wollknäueln in allen Farben, wobei Wollknäuel nicht wörtlich zu verstehen ist. Es ist auch Baumwollgarn und Mischgewebe dabei und viel Verheddertes.

 

Mutter hat früher viel gestrickt, Pullover, Mützen, Handschuhe. An manche Wollen und Knäuel kann ich mich erinnern. Andere verblüffen mich: Was hat sie bloss daraus gestrickt?

So hocke ich nun hier und entwirre Mutters Fäden.

Meine Beziehung zu ihr hat sich in den vergangenen Jahren weitgehend entwirrt. Auch wenn die Knoten nur von einer Seite her gelöst werden, kommt man langsam zum Ziel. Vielleicht geht das sogar einfacher, als wenn an beiden Enden gezurrt und gezerrt wird.

Mein erster Plan war, ihre Wolle in kleine Quadrate zu häkeln und zu stricken, daraus sollte eine Decke werden. Kleine Stücke kann ich mit meinen angeschlagenen Händen produzieren.

Soweit bin ich bis heute gekommen.

Dann lachten mich neue Techniken an: Zuerst das Bandweben, dann das Weben überhaupt.

Inzwischen ist Mutter Urgrossmutter geworden und ich Grossmutter. Von Mutters Lebensfaden ist noch etwas übrig, aber nicht mehr viel. Ich nehme ihren Faden auf, werde in der Generationenfolge ihren Platz übernehmen. Vielleicht findet der eine oder andere Faden am Bett des Enkels einen neuen Anknüpfungspunkt.



Eismeerhafen

Meerwasser
aus dem fremden Land
an karibischer Sonne
wärmt Luft und Herz
hält den Hafen eisfrei
für Abenteurer

02.02.2020, 10:46

02.02.2020, 14:11h Hafen mit Blick auf die Eismeerkathedrale

Am 02.02.2020 um 14:13h habe ich meinen Fuss an den Rand des Eismeerhafens in Tromsö gesetzt. Bei 69 Grad Nord.

Vermissen

Ich vermisse das Vermissen.

Wenn ich von anderen höre oder lese (zum Beispiel bei
demenzfueranfaenger.wordpress.com oder bei @doppelleben@twitter.com), wie sie ihre verstorbenen Angehörigen vermissen, dann vermisse ich mein Vermissen.

Ich vermisse meine Grossmutter (die einzige, die ich kannte) nicht, nicht meinen Vater und werde wohl leider auch meine Mutter nicht vermissen. Das tut mir leid. Ich habe schöne und andere Erinnerungen, an sie, aber es reicht nicht zum Vermissen. Ich würde sie so gerne vermissen!

Wie ist es so gekommen? Meine jüngere Schwester und ich mussten früh emotional unabhängig werden. Die Launen der Mutter waren unberechenbar. Der Vater war in seiner Anwesenheit emotional oft abwesend. Und Omi? Ich hatte sie sehr gern. Sie war eine wohlerzogene, hoch gebildete beherrschte Frau. Sie kam aus einer anderen Welt. Das ist eine Geschichte für sich. Sie war wohl zu beherrscht, als dass sich genügend Wärme zum Vermissen hätte bilden können.

Wie auch immer. Ich lernte früh, mich einzuigeln, mich als Schildkröte in meinen Panzer zurückzuziehen. Die bindenden Fäden habe ich kräftig angeknabbert, damit es weniger weh tut. Und so gibt es heute keine festen Bindungen zu meinen Eltern. Das vermisse ich so sehr.

Ich vermisse das Vermissen.

Wenn ich dem tief nachfühle, so ist es fast das selbe wie:

Ich vermisse meine Eltern.

Aber nicht ganz. Ich vermisse die Beziehung, die wir hätten haben können.

Ich vermisse das Vermissen.