Kartoffelküsse

Der Rabe auf dem Sportplatz schnappt sich eine Chipstüte und wirft sie zornig in die Luft. Nichts mehr drin. Aber fünf Schritte weiter liegen salzigscharfe Brosamen – oder eher Chipsamen? – an einem Haufen.

Der Rabe pickt und pickt. Dann krächzt er laut und fliegt in die Wiese. Er schimpft auf die Frau mit Hund, die ihn bei seiner Mahlzeit unterbrochen hat.

Kartoffeln sind gesund, sagen die Menschen. Aber nicht so salzig und nicht frittiert. Sie behaupten auch, dass Salz für Vögel schlecht sei. Wollen sie die Vögel auch noch bevormunden? Reicht es nicht, dass sie einander fortlaufend klar machen, was wem gut tut und was warum nicht?

Raben lassen sich nicht bevor-munden. Sie krächzen ohne Blatt vor dem Mund und fressen was vor den Schnabel fällt und gefällt. Schliesslich ist am Bach Wasser genug, sollte man Durst bekommen.

Der Rabe schwenkt anzüglich seine Schwanzfedern, stolziert um seinen Schatz herum und kontrolliert die Siedlung, ob etwa jemand seinen Reichtum bemerkt habe. Eine andere Rabendame zum Beispiel. Rabendame?

Seine Herzensdame sitzt auf dem Nest und brütet. Zeit, sie abzulösen und Gelegenheit ihr ein Stück Kartoffel als Gruss mitzubringen. Oder als Kuss. Als Kartoffelkuss.

Morgenmeisen

Dem Regen zum Trotz ruft die Meise ihr Ziwit in den Morgen. Sie wird wohl einen trockenen Ast im Kastanienbaum haben. Plan A war, mit ihrem Partner das neue Nest weich zu polstern. Aber nun, da der Nieselregen fast in bassen Frühlingsschnee übergeht, wird man zum Plan B übergehen müssen. Und der heisst: futtern.

Bei diesem Wetter sind Insekten rar und im April findet sich in den meisten Futterhäuschen kein Korn mehr. Es bleibt der Weg vor dem Café. Natürlich haben die Raben gestern aufgeräumt, aber einige Krümel werden wohl übrig geblieben sein, man muss sie nur suchen. Und das bedeutet Gefahr.

Die Strasse ist das Revier der Rabenkrähen, der Katzen und Menschen. Hat schon jemand Meisen auf dem Boden gesehen? Meisen irren sich selten im einschätzen von Gefahren.

Das Meisenpaar hockt also auf der Kastanie und beobachtet. Ein Junge rennt durch das Geniesel ins Café. Etwas später eilt er mit einer Tüte unter der Jacke wieder davon. Dabei beisst er in ein frisches Gipfeli.

Sehr gut. Gipfeli geben viele Brosamen. Gleichzeitig fliegen sie los, um ein Stück der knusprigen Kruste zu erhaschen, bevor es weich ist und kehren sofort wieder in den sicheren Baum zurück.

Ihr kurzer Flug jedoch ist vom Raben bemerkt worden. Er fliegt auf, landet keck auf der Strasse vor dem Café und beginnt zu picken. Dabei stolziert er respektlos hin und her, bis jeder Krümel verschwunden ist, um krächzend in seinem Baum zu verschwinden.

Die Meisen rutschen nahe zusammen und trösten sich gegenseitig über das verdorbene Frühstück hinweg.

Wenn das so weitergeht

„Wenn der Tag weitergeht, wie bisher, werde ich ihn nicht überleben“, dachte Fiona und übergab sich Mal. Die Übelkeit war nicht das Schlimmste. Es war das Dröhnen im Kopf, das seltsame Lichtspiel vor ihren Augen und der Schmerz, der Schmerz.

Morgens mit dem ersten Schritt fing es an. Schlaftrunken stolperte Fiona über ihre Hausschuhe, konnte sich am Kleiderschrank abstützen, sonst wäre sie gefallen. Der Kaffeemaschine fehlten Wasser und Bohnen. Das nervt.Wie immer war sie spät dran. „Früh genug“, dachte sie.

Heute wird ein Auftrag vergeben, finanziell und inhaltlich interessant. Eigentlich sind nur zwei Mitarbeiter in der Lage, dieses Projekt erfolgreich abzuwickeln, Fiona und ihr ewiger Konkurrent Peter.

Wer heisst heute schon Peter, grinste sie in sich hinein, und schlüpfte in ihre Schuhe. Geschnürt werden sie im Lift. Ein kurzer Blick auf die Wetterapp, es soll schneien? Die Winterreifen liess sie vor drei Tagen austauschen. Mit den Sommerreifen wird sie keine Chance haben.

Zu Fuss wird es sehr knapp. Vor der Haustür liegt feuchter, matschiger Stadtschnee. Beim dritten Schritt schwankt Fiona, fängt sich aber wieder auf. Hoffentlich fährt die Strassenbahn, oder hat die auch schon Sommerreifen drauf?

Fiona schreitet, schlittert, stürzt fast, aber es geht. Sie wird mutiger, versucht etwas Tempo draufzulegen. Dann hört sie das Kreischen der Strassenbahn in der Kurve. Jetzt nicht aufgegeben, denkt sie, torkelt über die Strasse, fast geschafft.

Eine halbe Schraube, in Schräglage, sie donnert, das Handy in der Hand schützend mit dem Kopf auf den Randstein.

Bleibt liegen. Betäubt, Lichter vor den Augen, Stimmen in den Ohren. Dann kamen Schmerz und eine unheimliche Übelkeit. Man lehnte sie an eine Laterne, durchnässt und verschmutz. Stadtschnee.

„Wenn der Tag weitergeht, wie bisher, werde ich ihn nicht überleben.“ Eifersüchtige Wörter hoch zu den Kopfschmerzen: „Wer heisst denn schon Peter.“

Unterschätzen Sie niemals

Einer der grossen Fehler, die Sie in der Küche machen können, ist es, den Salat stiefmütterlich zu behandeln.

Unterschätzen Sie niemals den Salat!

Salat ist mehr als Raufutter für Kaninchen und Wiederkäuer. Der Salat spielt in der Menüfolge eine zentrale Rolle.

Als Entrée gibt er zunächst den Appetizer, nach der Suppe übernimmt er die Aufgabe, auf den Hauptgang einzustimmen und das Menü als Ganzes zusammenzuhalten. Dies gelingt ihm, indem er gleichzeitig verbindet und kontrastiert.

Nach einer cremigen Suppe oder als Entrée regt ein knackiger Salat den Appetit auf die folgenden Gänge an. Knackig kann das Salatblatt an sich sein, wie der Eisbergsalat, oder begleitende Zutaten wie Kerne oder geröstete Brotwürfel. Mischen Sie etwa drei Salatarten miteinander, die sie sich in Konsistenz, Farbe und Form unterscheiden. Das erfreut das Auge und den Gaumen.

Zum Anrichten des Salates möchte ich nicht viele Worte verschwenden. Ob sie jedem Gast einen Salatteller richten oder ob Sie die prächtige Salatschüssel herumreichen lassen, ist teils eine Frage der Anzahl Gäste und teils des persönlichen Geschmacks.

Nachdem Sie den Salat in Teller oder in die Schüssel gegeben haben, kommt der grosse Augenblick der Salatsauce. Sie soll neben dem erfrischenden knacken des Salates mit seidiger Konsistenz überraschen. Je knackiger der Salat, umso seidiger die Sauce. Damit die Sauce seidig wird, gilt es zu rühren, zu rühren und zu rühren.

Mit ihrer Säure, den Ölen und den Gewürzen lehnt die Salatsauce sich einerseits an das Thema des Menüs an und setzt gleichzeitig ihre eigenen, zum Salatblatt passenden Akzente. Überraschen Sie! Und unterschätzen Sie nie wieder den Salat.

Aus der Küche geflunkert habe ich dieses Lied auf den Salat. Sollte Ähnliches schon veröffentlicht worden sein – tut mir leid, ich habe es nicht gelesen. Aber das Schreiben hat unheimlich Spass gemacht.

Der Text ist ein Beitrag zum Schreibprojekt abc.etüden von Christiane.

Angezählt

Eine erste abc-etüde für die Wochen 02/03 auf die Schreibeinladung von Christiane. Die Aufgabe lautet, drei vorgegebene Wörter (Abfallglück/Verfallsdatum/unschuldig) in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu verschreiben.

Angezählt

Unschuldig trödelt sie vor der Einfahrt zur Tiefgarage herum, dort wo in wenigen Minuten die Container des Einkaufszentrums zu stehen kommen. Die Hände in den Taschen, die Schultern zu minimaler Oberfläche zusammengezogen. Sie ist angezählt. Der Arzt hat ihr etwas wie ein Verfallsdatum eröffnet. Noch zwei, drei Monate. Arbeiten geht schon lange nicht mehr, freuen auch nicht. Es bleibt der abendliche Kleinkrimi um den Gewinn von einem kleinen Abfallglück. Etwas Spannung, etwas List, etwas Lust auf anderes als Brot und Suppe. Solange sie noch selbstständig auf die Strasse kann. Später wird man sie am Tropf durchfüttern. Bis, na ja.